Die Urban Nomads Education Platform #1 bildet den Auftakt zu einer Reihe von internationalen Bildungsprojekten, Arbeitstreffen und Performance-Programmen im Pilotzeitraum 2012-2014, in deren Rahmen mongolische, europäische und internationale Forscher, Kuratoren und Künstler aus unterschiedlichen Sparten die Situation moderner Nomaden untersuchen. Auf Basis dieser Recherchen werden Konzepte für Beteiligungsprojekte und Performances im Stadtraum entwickelt und neue Arbeitsmethoden für Community Art & Development Projekte erprobt – mit und für Menschen, die sich als Großstadtnomaden begreifen. Das langfristige Ziel der deutsch-mongolischen Plattform Urban Nomads ist die Produktion von zeitgenössischen Performances, die sich mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen und Problemen der Stadtentwicklung auseinandersetzen.
Im September 2012 hat die Initiative Urban Nomads ein interdisziplinäres Education-Projekt an der Mongolian State University of Arts and Culture (MSUAC) begonnen. Die Urban Nomads Education Platform #1 bot knapp vierzig Studenten und neun Ko-Dozenten verschiedener Fakultäten der MSUAC sowie Germanistik Studenten der National University of Mongolia die Gelegenheit, 14 Tage lang mit neun Künstlern und Kunstprofessoren aus Deutschland, Brasilien und der Schweiz Methoden der künstlerischen Forschung kennenzulernen und Konzepte für ortsspezifische und sozial engagierte Performance-Projekte zu entwickeln. In einem parallelen Urban Nomads Stage Technology Workshop haben sich die Vertreter deutscher Firmen für Bühnentechnik, Reinhold Daberto, Andreas Bickel und Matthias Müller, erstmals mit Licht-, Ton- und Bühnentechnikern sowie Theaterleitern aus der Mongolei über die Architektur und technische Ausstattung der Bühnen Ulan Bators ausgetauscht. Während dieses zweiten Workshops wurden vor mehr als 70 interessierten Teilnehmern Projekte wie zum Beispiel die technisch aufwändige Renovierung des Bolschoi-Theaters in Moskau präsentiert. Vor rund 150 Zuschauern stellten schließlich am 21.09. die an der Urban Nomads Education Platform #1 beteiligten Studenten im Studiotheater der MSUAC die interdisziplinären Performance-Projekte vor, die sie innerhalb von nur zwei Wochen erarbeitet hatten. Das begeisterte Publikum, bestehend aus Mitstudenten, der Universitätsleitung und internationalen Gästen, erlebte zwei partizipatorische Crossover Projekte, eine experimentelle Tanzaufführung, einen Dokumentarfilm über den Workshop selbst sowie einen fiktionalen Film zum Thema Urban Nomads.
Als erstes stellte eine Gruppe von Studenten, begleitet von Dr. Claudia Schink (Bildende Künstlerin und Philosophin, Deutschland), Marisa Godoy (Choreografin, Schweiz/ Brasilien) und Gandulam Ulziinorov (Grafikerin, Mongolei), eine Installation aus Farbmalerei und Tanz vor. Bei einer späteren Übertragung in den öffentlichen Raum könnte das Projekt den Effekt haben, die Laufwege von Passanten sichtbar zu machen, da beim Betreten und Durchschreiten der Installation verzweigte Farbspuren entstehen.
Ein Team der Radio- und Television School zeigte anschließend zusammen mit dem verantwortlichen Dozenten Otgonbaatar Baatarsuren (Filmregisseur, Mongolei) einen Dokumentarfilm, der parallel zum 14-tägigen Workshops entstanden ist und durch Interviews mit beteiligten Studenten und Dozenten individuelle Perspektiven auf die gemeinsame Workshop-Erfahrung vermittelte.
Darauf präsentierte ein weiteres Studenten-Team eine Choreografie, die auf das Stop-and-Go des alltäglichen Verkehrschaos Bezug nahm und bereits am Tag zuvor in Form eines Dance-Mobs auf dem Platz der benachbarten Schule aufgeführt worden war. Die Videodokumentation der öffentlichen Aktion war als Bühnenbild im Hintergrund zu sehen und mit der Live-Performance im Vordergrund synchronisiert. Angeleitet wurde dieses Aktion von Marisa Godoy (Choreografin, Schweiz/ Brasilien) und Prof. Oliver Langbein (Architekt und Szenograf, Deutschland).
Ein zweites studentisches Filmteam wurde gecoacht von Prof. Marion Hirte (Dramaturgin, Deutschland), Ursula Werdenberg (Dramaturgin und Autorin, Schweiz), Narangerel Erdenechuluun (Sprecherzieherin, Mongolei) und Munkhjin Purevkhuu (Pferdekopfgeigenspieler, Mongolei). Der in dieser Studentengruppe entstandene fiktionale Film vermittelte ohne Worte, nur begleitet von Live-Musik, die großen Kontraste und die damit verbundenen Herausforderungen für junge Menschen zwischen dem traditionellen nomadischen Leben in der Mongolei und der heutigen urbanen Situation in Ulan Bator.
Zuletzt zeigte eine Gruppe von Studenten eine Tanzaufführung, welche den expressiven Bewegungen eines Nachwuchstänzers und Schlangenmenschen solche Bewegungen und Geräusche gegenüberstellte, die bei einem Gang durch die Randzonen der Stadt Ulan Bator wahrgenommen werden können. Junge Komponisten der Kunstuniversität begleiteten die Performance durch Neuarrangements und Improvisationen auf der Basis von traditioneller mongolischer Musik. Unterstützt wurde das Projekt vom Dozententeam Prof. Marion Hirte (Dramaturgin, Deutschland), Ursula Werdenberg (Dramaturgin und Autorin, Schweiz), Gereltuya Sukhtseren (Choreografin, Mongolei) sowie Jandal Tumennast (Komponist und Musiker, Mongolei).
Abschließendes Zitat einer Studentin: „Interdisziplinäres Arbeiten war eine völlig neue und sehr aufregende Erfahrung für uns. Wir möchten diese Methode, die die Grenzen einzelner Kunstsparten erweitert, gern auch in Zukunft als einen wichtigen Teil unserer künstlerischen Praxis beibehalten.“
Auch das Urban Nomads Team Bayarmaa Munkhbayar (Theaterwissenschaftlerin und Kulturmanagerin, Ulan Bator/Berlin), Corinna Bethge (Regisseurin und Kulturmanagerin, Berlin) und Berit Schuck (Dramaturgin und Kuratorin, Berlin) war mit den Ergebnissen sehr zufrieden: „Wir sind beeindruckt, wie motiviert und konzentriert die Studentinnen und Studenten in wenigen Tagen eigenständige Arbeiten entwickelt haben. Ihnen war dabei sehr wichtig, sich mit Themen wie Umweltverschmutzung und sozialen Veränderungsprozessen künstlerisch auseinanderzusetzen. Gern haben wir sie ermutigt, mit ihren Projekten neue und eigene Wege zu gehen“ (Bayarmaa Munkhbayar, Ulan Bator/ Berlin).
Die europäischen und mongolischen Dozenten freuten sich besonders über die enorme Neugier der Teilnehmer. Ursula Werdenberg (Dramaturgin und Autorin, Schweiz) beschreibt: „Die Studenten sind sehr stolz auf ihre kulturellen Wurzeln und ihre nomadische Tradition. Es ist eine große Freude für uns zu sehen, mit welcher Begeisterung sie gleichzeitig neue künstlerische Möglichkeiten entdecken. Besonders bedanken möchten wir uns für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den mongolischen Ko-Dozenten, darunter Temuujin Purevkhuu (Pferdekopfgeigenspieler und Kehlkopfsänger), Bayasgalan Batmagnai (Bildhauer), Sabine Ercklentz (Komponistin und Musikerin, Deutschland) und Bat-Ulzii Baigalsuren (Bühnentechniker und Dozent)
Die Universitätspräsidentin Frau Erdenetsogt Sonintogos schließlich äußerte, dass das Urban Nomads Projekt in naher Zukunft fortgesetzt werde und eine langfristige Kooperation mit dem Netzwerk, mit deutschen und europäischen Hochschulen entstehen soll.